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Warum wir der Liebe aus dem Weg gehen

Warum wir der Liebe aus dem Weg gehen

Liebe vermeiden zu wollen, klingt zunächst völlig paradox: Warum sollte man sich aktiv um eine Erfahrung bringen, die schön und erfüllend sein soll? Vielen Menschen ist es unmöglich, die Liebe zu finden; und wir setzen scheinbar alles daran, sie zu sabotieren?

Ein Blick in die Vergangenheit verrät die Antwort. Wir können uns noch so sehr nach Liebe sehnen: Die Fähigkeit, uns auf sie einzulassen, hängt entscheidend von unseren frühen emotionalen Erfahrungen ab. Kurz gesagt: Wir ertragen Liebe nur dann, wenn sie sich sicher und gut anfühlte, als wir klein waren. Nicht allen war das vergönnt. Manchen von uns wurde die Suche nach Liebe schwer gemacht. Wir haben uns bis heute nicht davon erholt. Und noch immer nicht ganz verstanden, was eigentlich geschehen ist.

Vielleicht wurde die Person, die wir lieben wollten, krank. Vielleicht wurde sie depressiv. Vielleicht waren wir ganz und gar von ihr abhängig, sie aber verließ uns, gründete eine neue Familie oder richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ein jüngeres Geschwister. Vielleicht war sie ständig im Büro oder verbarrikadierte sich hinter der Tür ihres Arbeitszimmers. Vielleicht war sie jähzornig und unberechenbar oder gab uns das Gefühl, nie gut genug zu sein.

Wir sehnen uns vielleicht nach der Liebe, aber unsere Fähigkeit, erfüllte Beziehungen zu führen, ist stark beeinträchtigt

Sicher und geschützt fühlten wir uns nur in der Isolation; also entwickelten wir uns zu Expert*innen in Sachen Unabhängigkeit. Wir wurden zu begeisterten Leser*innen, waren fasziniert von der Tierwelt oder besessen von Musik oder Computerspielen. Ohne es zu bemerken, lernten wir, nie wieder einem echten Menschen zu vertrauen.

Unsere frühen Erfahrungen haben vermutlich nichts daran geändert, wie sehr wir uns nach Liebe sehnen. Aber sie haben unsere Fähigkeit, erfüllte Beziehungen zu führen, stark beeinträchtigt.


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Als Erwachsene reden wir uns dann möglicherweise ein, dass wir uns nach Nähe und Hingabe sehnen. Wir weinen aufrichtig, wenn uns die Liebe abhandenkommt. Aber zugleich stellen wir ständig sicher, sie niemals zu finden. Wir fürchten nicht das Scheitern einer Liebesbeziehung, sondern ihr Gelingen. Denn dann wären wir schutzlos. Wir wären einem anderen Menschen ausgeliefert und stünden vor einer ungekannten Möglichkeit: der Chance, glücklich zu sein. Für unsere gut gepanzerte Persönlichkeit wäre das eine riesige, gefährliche Herausforderung.

Wir suchen uns Partner*innen aus, die eine Sollbruchstelle in sich tragen

Wer vor der Liebe Angst hat, sorgt unablässig dafür, dass jede Beziehung scheitert. Wir suchen uns Partner*innen aus, die eine Sollbruchstelle in sich tragen: einen triftigen Grund, warum eine Beziehung mit ihnen nicht funktioniert. Menschen, die zufällig auf einem anderen Kontinent leben, die mit jemand anderem verheiratet oder viel älter oder jünger sind als wir. Wir betteln um die Liebe von Leuten, die sie uns – wie wir unbewusst wissen – weder geben wollen noch können. Wir beklagen uns zwar immer wieder darüber, dass die Menschen, mit denen wir zusammen sind, uns nicht richtig lieben; unsere eigentliche Sorge ist aber, dass sie es tun. Um das zu verhindern, suchen wir nach Defiziten: Wir weisen darauf hin, dass er*sie oft zu spät kommt, sich nicht genug bewegt, keine Fremdsprachen spricht und nicht kreativ genug ist und sind fest entschlossen, jeden erdenklichen Grund dafür zu finden, dass er*sie nicht zu uns passt.

Befinden wir uns in einer Beziehung, üben wir uns eifrig in der Kunst dessen, was Psycholog*innen „Distanzmanagement” nennen. Wenn sich die Chance bietet, wirklich glücklich zu sein, finden wir auf subtile Weise Wege, Abstand zu schaffen: Wir streiten uns, verderben einen Geburtstag, ruinieren einen Urlaub. Wir stellen fest, dass wir eine Menge Arbeit für eine bevorstehende Prüfung oder Präsentation erledigen müssen, dass unsere Freund*innen uns woanders brauchen, dass wir „vergessen” haben, die Kreditkarte oder den Steuerbescheid zurückzugeben, dass unser Äußeres viel Aufmerksamkeit erfordert oder dass wir auf einer Party mit einem Fremden flirten, der plötzlich sehr attraktiv erscheint. Im Kleinen wie im Großen wissen wir genau, wie wir die Stimmung dämpfen, eine Bindung kappen und Vertrauen zerstören können. Vielleicht ist die Beziehung dadurch nicht gleich zu Ende. Aber unser*e Partner*in beginnt, an unserer Verlässlichkeit zu zweifeln. Und ganz allmählich geht alles den Bach runter.

Wenn uns das alles bekannt vorkommt, ist Selbstmitgefühl gefragt.

Freund*innen mögen mit uns über unser „Pech” lamentieren. Psycholog*innen dagegen diagnostizieren eine außergewöhnliche Fähigkeit zur romantischen Sabotage.

Wenn uns das alles bekannt vorkommt, ist Selbstmitgefühl gefragt. Wir sollten auf unsere Vergangenheit zurückblicken und darüber staunen, wie stark die zerrüttete Beziehung zu unseren Eltern und unseren gestörten Bindungen als Erwachsene zusammenhängen. Wir sind nicht etwa „böse“, wir wurden nur sehr schwer verletzt. Haben wir verstanden, wie unser außergewöhnlicher Drang zur Unabhängigkeit entstanden ist, erkennen wir, dass er sich überlebt hat. Vielleicht fürchten wir uns noch immer davor, zufrieden zu sein, können aber endlich zugeben, dass Angst unser Handeln leitet. Anstatt unsere Partner*innen zurückzuweisen, gestehen wir uns eine viel unangenehmere, furchteinflößende Wahrheit ein: Dass wir uns von ihnen entfernen, weil sie uns glücklich machen könnten – etwas, das uns noch nie widerfahren ist.


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By The School of Life

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