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Der hohe Preis, den wir für unsere Angst vor der Einsamkeit zahlen

Der hohe Preis, den wir für unsere Angst vor der Einsamkeit zahlen

Angst vorm Alleinsein ist verständlich. Die leere Wohnung, die einen nach der Arbeit empfängt; die unendlich langen Sonntagnachmittage; im Urlaub das Gefühl, ausgegrenzt zu sein – wir kennen die Qualen des Alleinseins nur allzu gut.

Der hohe Preis dagegen, der auf der anderen Seite der Gleichung gefordert wird, gerät seltener in den Blick. Unglückliche Beziehungen, gedrosselte Persönlichkeitsentfaltung, Klaustrophobie und unterdrückter Kummer gehen auf die phobische Angst vorm Alleinsein zurück. Sie ist in jeder Hinsicht einer der größten Verursacher menschlichen Elends und treibt einige unserer fatalsten Entscheidungen an. Wären wir uns über diese Kosten im Klaren, könnten wir uns viele Irrwege einfach sparen.

Mindestens sieben negative Folgen hat die Angst vorm Alleinsein:

Uns fehlt das Durchhaltevermögen

– Ganz offensichtlich treffen Menschen aus Angst vor dem Alleinsein einige sehr falsche Entscheidungen, mit wem sie zusammen sein wollen. Weil sie sich nicht trauen, die richtigen Kriterien anzulegen, ziehen sie jede x-beliebige Person einer anderen, besser geeigneten vor. Eigentlich sollte der Mensch, mit dem wir zusammen sind, doch interessant, herausfordernd und proaktiv sein, statt lediglich entspannt, attraktiv und gut gelaunt! Vielen fehlt aber das Durchhaltevermögen, auf die*den zwanzigsten oder zweihundertsten Kandidaten*in zu warten. Dabei findet man die*den verdiente*n Partner*in nur dann, wenn man sich mit der Aussicht abgefunden hat, allein zu bleiben.

– Manche Gründe, aus denen die andere Person nicht zu uns passt, scheinen uns zunächst trivial. Aber auf Dauer verhält es sich wie mit einem Kieselstein im Schuh: Aus „etwas unangenehm“ wird „schier unerträglich“. Der leiseste Zweifel, den man am Hochzeitstag hegte, wächst mit den Jahren zu einer tiefen Verzweiflung heran. Das schönste Reiseziel, der vielversprechendste Moment, der größte Erfolg: Alles wird ruiniert und in die Tonne getreten. Was als leichte Zerrissenheit oder Langeweile beginnt, endet in Ärger, Selbstekel, sexuellem Elend, zerrütteten finanziellen Verhältnisse und jener quälenden Einsamkeit, die – ironischerweise – das bloße „Alleinsein” niemals hervorrufen könnte.


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Wir sind dem Menschen ausgeliefert, der die Einsamkeit weniger fürchtet als wir.

– Aus Angst vor der Einsamkeit fehlt uns die Kraft, in einer Beziehung für unsere Bedürfnisse einzutreten. Wir sind dem Menschen ausgeliefert, der die Einsamkeit weniger fürchtet als wir. Der*die andere entwickelt ein ausgeprägtes Gespür dafür, dass wir keine Wahl haben. Es ist völlig sinnlos, nach einem Streit mit dem Fuß zu stampfen und zu behaupten: „Es reicht jetzt!”, wenn jede*r weiß, dass wir niemals einen Schlussstrich ziehen werden – unsere Angst, allein zu Abend zu essen, ist viel zu groß.

– Noch schlimmer ist, dass wir mit der Zeit die Überzeugung entwickeln, unsere Lebenssituation nicht mehr ändern zu können. Die Sorge davor, allein zu sein, wächst, obwohl wir längst begriffen haben, was es tatsächlich bedeutet, in falscher Gesellschaft zu sein. In unserer bequemen, aber letztlich tödlichen Gefangenschaft erscheint uns die Wildnis da draußen noch furchteinflößender. Wir können uns nicht mehr vorstellen, den Spülmaschinenabfluss selbst zu reinigen, allein auf eine Party zu gehen oder für unseren Neffen ein ordentliches Geburtstagsgeschenk zu besorgen, so sehr haben wir uns daran gewöhnt, dass unser*e Partner*in unsere Schwächen kompensiert. Alleinstehende dagegen sind ständig dazu gezwungen, sich zu etwas zu überwinden. Das ist zugleich belastend und pädagogisch wertvoll. Tapfer kämpfen sie gegen ihr Temperament und ihre persönliche Geschichte an. Sie lernen, wie man gärtnert, sich mit der Stadtverwaltung herumschlägt, Urlaub in den Bergen macht, unverplante Wochenenden erträgt, regelmäßig die Mutter anruft und ein Hühnchen kocht. So erlangen sie – anders als wir – die Belastbarkeit und Resilienz, auf der echte Freiheit beruht.

– Wer dagegen seine Freiheit leichtfertig aufgibt, wird diesen Verlust nie ganz verwinden. Und das ist schmerzlich. An jeder Ecke warten faszinierende, charmante Menschen, die man nicht kennenlernen darf, weil die Angst, noch ein paar weitere Nächte allein zu verbringen, einst zu groß war.

Wir lernen uns selbst nicht kennen

– Aber nicht nur andere Menschen, auch uns selbst lernen wir nicht kennen. Die ständige Anwesenheit unserer Begleiter*innen hindert uns daran, uns mit unseren Gedanken anzufreunden und unsere Gefühle und Ideen so intensiv zu erforschen, wie es nur lange Phasen der Einsamkeit erlauben. Statt unsere Persönlichkeit zu entwickeln, gleichen wir uns immer weiter an. Das ständige Geplapper hindert uns daran, einen wichtigen Dialog mit uns selbst zu führen. Taucht etwas Schmerzhaftes, Herausforderndes auf, nutzen wir die Gegenwart der*des anderen, uns abzulenken. Und irgendwann ist da eine Menge, was wir nicht wirklich fühlen oder verstehen. Lauter große Fragen über uns, unsere Karriere und unsere Bestimmung, die wir ignorieren, weil immer jemand da war und ist, mit dem wir darüber plaudern können, was wir zum Abendessen bestellen sollen.

– Das Schlimmste daran ist, dass wir nach einer Weile nicht einmal mehr richtig unglücklich sind. Wir gewöhnen uns an die gemütliche Mittelmäßigkeit. Neugier und Unruhe haben wir hinter uns gelassen. Wir trauen wir uns nicht mehr – wozu Singles gezwungen sind – auf Fremde zuzugehen und eine Abfuhr zu riskieren. Wir hören auf zu lernen. Wir glauben, unsere Bedürfnisse vollständig befriedigt zu haben. Dabei haben wir sie nur verdrängt und uns gegen die Ungewissheit, das Neue und den Wandel des Lebens verschworen.

Allein zu sein bedeutet nicht, dass etwas mit uns nicht stimmt.

All das ließe sich vermeiden, wenn wir von klein auf wüssten, dass es völlig okay ist, allein zu sein. Es bedeutet nicht, dass etwas mit uns nicht stimmt. Wir brauchen nur etwas Geduld, bis etwas auftaucht, das uns wirklich erfüllt (falls das geschieht). Wir haben eine Wahl, man hat uns nicht bestraft. Wer allein lebt, ist darum nicht automatisch von der Menschheit abgeschnitten. Im Gegenteil: Wir können im Austausch mit den Ideen und Visionen Milliarden anderer Menschen in Raum und Zeit sein – etwas, das kaum möglich ist, wenn wir laufend auf jemand anderen in unserer unmittelbaren Umgebung reagieren.

Solange wir nicht damit Frieden schließen, allein zu leben, bleiben uns die Verheißungen echter Gemeinschaft versagt. Wir entfalten weder unsere eigenen Interessen, noch finden wir die Beziehungen, die wir wirklich verdienen.


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