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Sollte Sex jemals ein Grund sein, sich zu trennen?

Sollte Sex jemals ein Grund sein, sich zu trennen?

Wenn wir uns entscheiden, ob wir uns trennen sollten, wenden wir häufig ein Kriterium an, das bei den allermeisten Menschen – seit Entstehung unserer Spezies bis noch vor Kurzem – viel Befremden ausgelöst hätte: Wir fragen uns, ob unser Sexleben lebendig und erfüllt genug ist.

Das Kriterium ist allgegenwärtig. Man suggeriert uns, dass es höchst sonderbar, ja verdächtig wäre, über längere Zeit zusammenzubleiben, ohne Sex zu haben, und begegnet uns mit Sympathie und Verständnis, wenn wir verkünden, uns getrennt zu haben, weil „im Bett nichts mehr lief”. Eine sexuelle Flaute scheint als Trennungsgrund völlig auszureichen.

Bei genauerem Hinsehen ist das seltsam. Sollen wir einen anderen Menschen wirklich wegen eines Gefühls verlassen, das nur wenige Minuten anhält und in etwa so angenehm ist wie ein fantastisches Dessert oder ein paar sehr aufregende Minuten auf der Tanzfläche? Wollen wir dafür unseren Kindern schaden, unsere Familie zerstören, uns finanziell ruinieren, kurz: durch die Hölle gehen?

Sex ist sowohl ein körperliches als auch ein emotionales Phänomen

Wie ernst sollten wir unser Bedürfnis nach Sex eigentlich nehmen? Verwirrt sind wir vor allem deshalb, weil Sex sowohl ein körperliches als auch ein emotionales Phänomen ist. Das erschwert es uns, seine Rolle zu bestimmen. Sex kann für uns so viel oder wenig wert sein wie ein Tennismatch, er kann aber auch zwei Seelen zum Schwingen bringen. Der Akt ist derselbe, seine Bedeutung variiert.

Wir wagen wir an dieser Stelle eine steile These: Niemand beendet jemals eine Beziehung, weil der Sex „schlecht“ ist – auch wenn er oder sie noch so fest davon überzeugt ist. Das eigentliche Problem liegt mit ziemlicher Sicherheit woanders. „Schlechten“ oder fehlenden Sex kann man nämlich durchaus tolerieren, solange andere Dinge in Ordnung sind. Unerträglich dagegen und ein echter Grund, das Weite zu suchen, ist ein Mangel an Zuneigung.


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Der Sinn einer Beziehung besteht ja darin, von einem anderen Menschen wahrgenommen, verstanden, akzeptiert, stimuliert, gestärkt und geschätzt zu werden. Haben wir dieses Gefühl nicht, können wir genauso gut allein frühstücken. Wie man einander Zuneigung zeigt, ist allerdings variabel. Vielleicht durch Berührung mit den Lippen, erotische Liebkosungen und fantasievolle Spiele. Es kann aber auch sein, dass jemand einfach unsere Hand hält oder uns nachts umarmt, sich unsere Sorgen aufmerksam anhört und unsere Bedürfnisse im Auge behält. Für eine enge Beziehung ist ein flüchtiger Kuss, mit dem wir bei unserer Heimkehr empfangen werden, mitunter genauso bedeutungsvoll wie ausgiebiger Sex.

Nicht der Mangel an Sex an sich führt zur Trennung. Sondern der Mangel an Nähe und Zärtlichkeit

Wenn wir nur selten Sex haben oder unsere Annäherungsversuche zurückgewiesen werden, beunruhigt uns darum nicht so sehr der Verzicht auf körperliche Freuden. Sondern der ausbleibende Beweis der Zuneigung, die wir so dringend brauchen. Immer wieder wollen wir uns rückversichern, dass wir im Herzen unsere*r Liebhaber*in einen äußerst wichtigen Platz einnehmen. Nicht der Mangel an Sex an sich führt zur Trennung. Sondern der Mangel an Nähe und Zärtlichkeit, den er mit sich bringt. Darum ist es ein großer Unterschied, ob jemand keine Lust hat, weil er oder sie müde ist, am kommenden Tag eine wichtige Besprechung hat oder fürchtet, das Kind im Nebenzimmer könnte aufwachen, aber unsere Sehnsüchte versteht. Oder ob ein*e Partner*in unsere Annäherungsversuche und Wünsche als unzumutbare Störung und Forderung nach Nähe empfindet, an der er oder sie selbst kein Interesse mehr hat.

Das praktische Ergebnis mag dasselbe sein: Es gibt keinen Sex. Aber die emotionale Dynamik ist eine ganz andere. Im ersten Fall fühlen wir uns geliebt, auch wenn unser*e Partner*in unser Begehren (leider) nicht erwidert. Im zweiten Fall ist es fast sicher an der Zeit, die Beziehung zu beenden. Vermutlich wären wir sogar bereit, darauf zu verzichten, viele unserer Wünsche auszuleben, vorausgesetzt, unser*e Partner*in wäre warmherzig und zärtlich und zeigte uns, warum wir ihm*ihr wichtig sind – selbst wenn seine oder ihre erotischen Sehnsüchte (aufgrund seiner persönlichen Geschichte) eine andere, uns verborgene Richtung hätten.

Ist die Zuneigung zwischen zwei Menschen groß genug, muss ein Mangel an Sex keine Katastrophe sein

Ist die Zuneigung zwischen zwei Menschen groß genug, muss es keine Katastrophe sein, dass einer von ihnen aus vielschichtigen Gründen das Verlangen hat, bestimmte Dinge zu tun – sei es miteinander oder sogar: mit jemand anderem –, der andere aber nicht. Es muss auch nicht das Ende der Beziehung bedeuten. Tödlich ist weniger ein Partner, der unsere Wünsche nicht erfüllen kann, als einer, der uns mit Abwehr, Kälte, Verurteilung oder Gleichgültigkeit begegnet.

Um herauszufinden, ob unsere Beziehung gerettet werden kann, müssen wir akzeptieren, dass wir es möglicherweise nicht mit einem sexuellen Problem zu tun zu haben, sondern mit der Distanz, die sich dahinter verbirgt. Theoretisch könnte eine Beziehung durchaus auch dann überlebensfähig sein, wenn ein*e Partner*in keinen Orgasmus anstrebt oder sich nur halbherzig auf eine gemeinsame Fantasie einlässt, solange sich beide Seiten wirklich geliebt und erwünscht fühlen. Wenn wir uns trennen, sollten wir unbedingt den wahren Grund kennen. Beharren wir stattdessen darauf, das Problem sei fehlender Sex (oder nicht die Art von Sex, die wir wollen), täuschen wir uns über das hinweg, was wir bei einem anderen Menschen eigentlich suchen.

Nicht perfekten Sex, sondern etwas, das viel wichtiger, oft schwieriger zu erreichen und in jedem Fall gut genug ist: Zuneigung und Verständnis. In einer künftigen, besseren Beziehung hätten wir dann vielleicht immer noch ziemlich selten Sex. Wir würden uns über diesen Mangel aber nicht mehr ärgern. Denn wir hätten andere, vielleicht sogar bessere Wege gefunden, uns unserer gegenseitigen Liebe zu versichern.


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