05/29/2019
All
Wie die Einsicht, ein Idiot zu sein, unser Selbstbewusstsein stärken kann
Menschen, die es gut mit uns meinen, versuchen oft, unser Selbstbewusstsein zu steigern, indem sie uns bei bestimmten Herausforderungen an unsere Stärken erinnern: unsere Intelligenz, unsere Kompetenz, unsere Erfahrung. Das kann jedoch unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen. Zum Beispiel wenn unser vorhandenes Selbstbewusstsein dadurch erschüttert wird, dass wir uns zu sehr in unserer Würde angegriffen fühlen und vor Situationen zurückschrecken, in denen sie bedroht sein könnte. Dann schrecken wir vor allen Herausforderungen zurück, bei denen wir fürchten, uns vielleicht lächerlich zu machen – und das umfasst natürlich so gut wie alle interessanten Situationen im Leben.
Wir verpassen oft die besten Chancen, die das Leben uns bietet
In einer fremden Stadt zögern wir, jemanden zu bitten, uns in ein paar interessante Bars zu führen, weil man uns für einen bedauernswert unwissenden und verlorenen Touristen halten könnte. Wir sehnen uns schon seit Langem danach jemanden zu küssen, lassen es uns aber nicht anmerken, für den Fall, dass er oder sie uns als zu aufdringlich ablehnt. In der Arbeit bewerben wir uns nicht um eine Beförderung, weil die Geschäftsführung uns für anmaßend halten könnte. In unserem krampfhaften Bemühen, uns keine Blöße zu geben, wagen wir uns nicht weit aus unserer Komfortzone heraus. Folglich verpassen wir – zumindest hin und wieder – die besten Chancen, die uns das Leben bietet.
Im Grunde beruht unser mangelndes Selbstbewusstsein auf einer verzerrten Vorstellung davon, wie viel Würde ein normaler, durchschnittlicher Mensch ausstrahlt. Wir stellen uns vor, dass wir ab einem gewissen Alter über das Gespött der anderen erhaben sein könnten. Wir meinen, es sei tatsächlich möglich, ein gutes Leben zu führen, ohne sich regelmäßig lächerlich zu machen.
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Lob der Torheit
Eines der charmantesten Bücher der frühen Neuzeit in Europa ist Lob der Torheit (1509), ein Werk von Erasmus von Rotterdam. Der Philosoph bietet uns darin eine absolut befreiende These an. In warmherzigen Worten erinnert er uns daran, dass jeder, ganz gleich wie wichtig oder gelehrt er auch sein mag, im Grunde ein Dummkopf ist. Davor kann sich niemand schützen, auch nicht der Autor selbst. Ganz gleich, wie gelehrt Erasmus auch war, er besteht darauf, genauso dumm wie der Rest der Welt zu sein: sein Urteilsverögen ist nicht unfehlbar; seine Leidenschaften überwältigen ihn; er ist eine leichte Beute für Aberglaube und irrationale Ängste; wann immer er neuen Menschen begegnen muss, ist er schüchtern; bei vornehmen Abendessen fällt ihm etwas herunter. Das alles ist zutiefst beruhigend, denn es bedeutet, dass uns unsere eigenen Unzulänglichkeiten nicht notwendigerweise von der besten Gesellschaft ausschließen müssen. Wie ein Idiot dazustehen, sich danebenzubenehmen und nachts seltsame Dinge zu tun – all das bedeutet nicht, dass wir untauglich für die Gesellschaft wären; ganz im Gegenteil, es rückt uns in die Nähe des größten Gelehrten der Renaissance in Nordeuropa.
Mit der Lächerlichkeit Frieden schließen
Den Werken von Erasmus und Bruegel liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Weg zu größerem Selbstbewusstsein nicht darin liegt, uns selbst immer wieder unsere Würde zu bestätigen, sondern dass wir mit der Lächerlichkeit, der wir uns unvermeidlich aussetzen, unseren Frieden machen. Wir sind nun einmal Dummköpfe, waren es schon immer und werden es auch in Zukunft sein – und das ist ganz in Ordnung, es gehört zum Menschsein dazu.
Wenn wir einmal erkennen würden, dass wir von Natur aus töricht sind, wäre es auch nicht weiter schlimm, wenn wir noch etwas täten, was dumm wirken könnte. Die Person, die wir gerne küssen wollen, mag uns in der Tat für lächerlich halten. Der Typ, den wir in einer fremden Stadt um Auskunft gebeten haben, mag uns vielleicht geringschätzen. Aber das wäre ja nichts Neues für uns, sie würden nur das bestätigen, was wir uns selbst schon lange eingestanden haben: dass wir – genauso wie sie und alle anderen Menschen auf der Welt – Dummköpfe sind. Somit würde das Risiko, sich lächerlich zu machen, seinen substanziellen Schrecken verlieren. Die Angst vor einer Blamage würde uns nicht ständig verfolgen. Wir würden uns frei fühlen, Neues auszuprobieren, weil wir akzeptierten, dass das Scheitern dazugehört. Doch zwischen all den Zurückweisungen und Absagen, die wir uns von Beginn an einhandeln, würde gelegentlich auch etwas funktionieren: Wir bekommen unseren Kuss, gewinnen einen neuen Freund oder bekommen die Gehaltserhöhung.
Der Weg zu größerem Selbstbewusstsein beginnt mit dem Ritual, sich jeden Morgen ernsthaft vor dem Spiegel einzugestehen, dass man ein Schwachkopf ist, ein Idiot, ein Blödmann und ein Depp. Danach sollten ein paar weitere Dummheiten keine Rolle mehr spielen.
[Auszug aus unserem Buch “Vertraue Dir”, erschienen in Süddeutsche Zeitung Edition]
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