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Was ist wahr an Religion

Was ist wahr an Religion

Lektüretipp: Religion für Atheisten von Alain de Botton

Was ist wahr an Religion? Alain de Bottons Antwort auf diese Frage ist für einen Philosophen recht überraschend. Sie lautet: Ist doch eigentlich völlig unwichtig. Wahr oder unwahr – das ist nicht der Punkt.

Für ihn als bekennenden Atheisten sind Religionen aber keineswegs eine zu belächelnde Nebensache. Ganz im Gegenteil: Für de Botton sind Religionen ein hoch geschätzter Fundus an inspirierenden Werkzeugen, durch die wir unser Leben besser gestalten können. In seinem Buch „Religion für Atheisten“ erläutert er, wie Religionen sozial und psychologisch wirken und wie sie auch unreligiöse Menschen in ihrem Alltag bereichern können.
Aus einem gänzlich atheistischen Blickwinkel betrachtet, sind viele religiöse Praktiken ein Angebot an profane menschliche Bedürfnisse. Ein christliches Gebet, welches im Wesentlichen aus Dank und Bitten besteht, enthält ein Wertschätzen von dem, was schon gut ist, und ein Benennen der Dinge, die anders werden sollen. Man könnte auch sagen, wir bilanzieren hier Erfolge und entwerfen neue Ziele. – Hatte Ihr letztes Karrierecoaching inhaltlich wirklich so viel anderes zu bieten? Ich glaube kaum. Die Gebets-Grundidee, das Danken und Bitten, ist nämlich ein sehr gutes Sortierungsprinzip für unsere Wünsche.

Und auch um unser Sozialverhalten positiv zu regulieren, haben Religionen tolle Konzepte. An „Jom Kippur“ sind Gläubige des Judentums angehalten, allen Streit der letzten 12 Monate beizulegen. Für Juden gibt es so alljährlich die Möglichkeit, ja sogar eine Verpflichtung, verfahrene Konflikte aufzulösen. Ein kollektiver Aufruf, wie ihn hier die Religion formuliert, ist ungemein hilfreich, um Dinge zu tun, die wir sonst gerne aufschieben, wie zum Beispiel ein unangenehmes Gespräch zu führen. An irgendeinem Samstag zwischen Altglasentsorgung und Handballtraining stehen die Chancen wesentlich schlechter, dass ein Versöhnungsversuch überhaupt unternommen wird. Durch den von außen gegebenen Anlass wird es leichter, sich einen Ruck zu geben und auf den Anderen zuzugehen. Zusätzlich motiviert, dass man an einem Tag mit dieser klaren inhaltlichen Ausrichtung auch die besten Chancen hat, dass eine Entschuldigung wohlwollend angenommen wird.

Nun müsste man dazu ja nun nicht unbedingt jüdisch sein, oder? Wäre vielen Verwandten, die in jahrelanger Funkstille verharren, aus Gründen, die man kaum noch erinnert, nicht auch geholfen, wenn wir unseren brandneuen Feiertag in Berlin, den 8. März, auch mit einer kollektiven Verabredung zum Verzeihen versehen würden?

Natürlich. Aber ohne die Autorität eines allwissenden weißen Mannes oder einer jahrhunderte alten Tradition trauen wir uns oft nicht, so kreativ an die Dinge heranzugehen. Dabei könnten wir vom Erfindungsreichtum der Weltreligionen profitieren und ihre über Jahrhunderte ausgeklügelten sozial-kulturellen Arrangements genießen. De Botton lädt uns in seinem Buch ein, weniger über den Wahrheitsgehalt von Religion nachzudenken oder uns in einem bestimmten Glauben zu isolieren, sondern sie spielerisch zu entdecken und uns ganz säkular von ihnen inspirieren zu lassen.

Ingrid Scherübl ist Kulturwissenschaftlerin, Schreibcoach und Dozentin an der School of Life.
Dass das Klosterleben konzentrationsförderlich ist und somit eine Produktivitätstechnik für Schreibende sein kann, entdeckte sie in Indien in einem Yoga-Aschram. Seither veranstaltet sie zwei Mal im Jahr den Schreibaschram, eine Klostersimulation für Schreibende.


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By The School of Life

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