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Wie wir mit unseren Partner*innen über Sex reden

Wie wir mit unseren Partner*innen über Sex reden

In einer Beziehung über Sex zu reden, fällt uns oft alles andere als leicht. Wir wollen von unseren Partner*innen verstanden und voll und ganz akzeptiert werden. Doch statt mit ihnen zu teilen, was wir wirklich wollen, behalten wir unsere Wünsche für uns. Wenn unser*e Partner*in uns dann nicht auf Anhieb versteht, ärgern wir uns, dass wir uns überhaupt erklären müssen und reagieren irritiert, defensiv oder missmutig.

Dieses Problem geht auf unser Verständnis von Romantik zurück, die wiederum von der Idee der wortlosen Kommunikation ganz besessen war. Dieser Vorstellung zufolge verstehen sich die Partner*innen in einer gut funktionierenden Beziehung blind. Liebende, die sich in die Augen sehen, verstehen einander intuitiv aus tiefstem Herzen. Im Hinblick auf Sex bedeutet dies, dass Menschen, die füreinander bestimmt sind, instinktiv und auf magische Weise zueinander finden und im Bett alles richtig machen. Obwohl die Erfahrung immer wieder zeigt, dass es sich in der Praxis ganz anders verhält, halten wir weiter an diesem Ideal fest.

Nichts klingt weniger romantisch, als dem*der Partner*in stundenlang erklären zu müssen, warum wir im Schlafzimmer in schenkelhohen Lederstiefeln herumstolzieren möchten; warum wir, wenn es auf den Orgasmus zugeht, die andere Person wüst beschimpfen möchten oder sogar – (obwohl wir eigentlich „anständige“ Mensch und gesetzestreue Bürger*innen sind) gerne – so realistisch wie möglich – tun würden, als würden wir unser*e Partner*in vergewaltigen.

Die Vorstellung, sich einem*einer skeptischen Partner*in lang und breit erklären zu müssen, ist einfach unvereinbar mit unserer Idealvorstellung von Sex. Dennoch ist die Bereitschaft, der anderen Person unsere sexuellen Präferenzen zu erklären, nichts geringeres als ein Zeichen der Liebe. Wir möchten ja, dass die Beziehung funktioniert, und gerade deshalb müssen wir diese „unromantische“ Aufgabe erfüllen: Wir müssen erklären, was uns sexuell erregt. Damit uns das gelingt, sollten wir drei Punkte beachten:

– Die Wichtigkeit der Aufgabe anerkennen

Versetzen wir uns für einen Moment in die Lage unseres Gegenübers: Er oder sie kann nicht in unseren Kopf hineinsehen und kann nicht erahnen, was alles dazu beigetragen hat, dass wir uns heute wünschen, was wir uns wünschen. Unser*e Partner*in ist auf diese Art von Sex vielleicht nicht eingestellt (vielleicht kostet sie Überwindung) und kann von sich aus auch gar nicht wissen, welche sexuellen Vorlieben wir haben, warum wir diese mögen und was sie für uns bedeuten. Diese Ignoranz ist kein Mangel an Liebe. Die Ängste und Bedenken des Partners oder der Partnerin sind legitim, selbst wenn sie uns lächerlich vorkommen sollten.

Es ist wichtig, zu erkennen, wie umfangreich die Aufgabe ist, uns der anderen Person verständlich zu machen, damit wir ihr genügend Zeit einräumen. Wenn uns innerlich vollkommen klar ist, dass uns hier eine große Aufgabe bevorsteht, dann erwarten wir auch keine schnellen Ergebnisse. Sexuelle Kommunikation ist eine Art Unterrichtsfach (so seltsam das auch klingen mag). Beim Unterrichten ist es immer wichtig, zu wissen, dass der Lernprozess seine Zeit braucht. Auf anderen Gebieten haben wir das voll akzeptiert, wie zum Beispiel beim Fahrunterricht oder wenn jemand lernen soll, mathematische Gleichungen zu lösen.

WIR MÜSSEN DEN RICHTIGEN MOMENT ZUM KOMMUNIZIEREN WÄHLEN – WENN WIR IN FAHRT SIND, IST ES ZU SPÄT

Die Aufgabe richtig einzuschätzen bedeutet auch, zu erkennen, wie wichtig es ist, wann diese Kommunikation stattfindet. Wir müssen den richtigen Moment wählen – vielleicht viele verschiedene Momente –, in denen wir noch ruhig miteinander sprechen können, nicht wenn wir schon erregt sind und den Partner oder die Partnerin auf die Schnelle überreden wollen. Dann werden wir unüberlegt und unterrichten schlecht, weil wir es mit dem Ergebnis so eilig haben.

Wie bei jedem anderen komplexen und langwierigen Unterrichtsprojekt sollte die Kommunikation dann stattfinden, wenn es nicht ausschlaggebend ist, dass unser Gegenüber gleich alles richtig versteht. Wir müssen genügend Zeit dafür einrechnen, dass die andere Person nicht gleich überzeugt ist, dass es einige schwierige Momente gibt und dass wir uns noch nicht richtig verständlich machen können. Und ganz tief in unserem Inneren müssen wir auch zulassen können, dass der*die Partner*in überhaupt kein Verständnis für unsere Vorlieben aufbringen kann, und wir auch das akzeptieren müssen.


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– Bei sich selbst so genau wie möglich erforschen, wie wir über unsere sexuellen Wünsche denken und fühlen

Was wir über uns selbst herausfinden – mit wahrer Einsicht und Selbstakzeptanz – sind die wichtigsten Kommunikationsbausteine. Sie helfen uns, bei einer anderen Person eine positive Einstellung hervorzurufen. Ohne diese Vorarbeit schustern wir schnell ein paar vordergründige Argumente zusammen, fühlen uns schnell in die Enge getrieben und vermitteln unser Anliegen schlecht, weil wir selbst keine solide Basis für die Erklärung unserer sexuellen Vorlieben und Wünsche haben.

WENN WIR DAVON ÜBERZEUGT SIND, DASS UNSERE WÜNSCHE IHRE BERECHTIGUNG HABEN, DANN KÖNNEN WIR SIE GEDULDIG UND KLAR KOMMUNIZIEREN.

Wenn wir aber davon überzeugt sind, dass unsere Wünsche ihre Berechtigung haben, dann können wir sie geduldig und klar kommunizieren. Natürlich können die Partner*innen Einwände erheben; sie werden Angst bekommen und vielleicht sogar hier und da Ekel empfinden. Doch wenn wir uns selbst grundsätzlich verstehen und akzeptieren, dann haben wir diesen Prozess schon einmal mit uns selbst durchlaufen: Wir haben uns unserer Scham gestellt, unserer Befürchtung, wir seien abwegig veranlagt, und unserer Unsicherheit darüber, ob wir tatsächlich die andere Person lieben können, wenn wir diese Praktiken mit ihr durchführen. Zu all diesen Punkten haben wir schon geeignete Antworten gefunden. Wenn wir uns damit auseinandersetzen, werden bestimmte Aspekte unserer Vorstellungen für unsere Partner*innen weniger beängstigend wirken.

– Sex mit einer abgeklärten Wehmut betrachten

Eine der schwierigsten Herausforderungen bei der Kommunikation stellt sich im Zusammenhang mit nicht monogamem Verhalten oder Untreue. In solchen Fällen kann es auch mal besser sein, gegebenenfalls nicht zu kommunizieren. Tragödien entstehen nicht etwa, wenn etwas total schiefläuft, sondern wenn es zum Konflikt zwischen zwei guten und wünschenswerten Dingen kommt, die in unserem Leben nicht beide gleichzeitig Bestand haben können. Wir möchten zwar offen und ehrlich sein und unserem Partner ganz und gar reinen Wein einschenken, aber andererseits möchten wir auch – oder brauchen es sogar – Dinge erkunden und ausprobieren, die die andere Person vollkommen abschrecken würden.

Die Vorstellung von der Tragödie als Konflikt zwischen gegensätzlichen Idealen hat eine lange kulturelle Geschichte. Schon die alten Griechen haben sich damit auseinandergesetzt, wie zum Beispiel in Sophokles’ Tragödie „Antigone“.

In diesem Drama wird die Protagonistin Antigone aufgerieben zwischen zwei Loyalitäten, die sich gegenseitig ausschließen. Die Loyalität zur Familie erfordert, dass sie ihren Bruder, den Krieger Polyneikes beerdigt, doch andererseits ist sie auch dem Stadtstaat Theben gegenüber loyal, in welchem sie lebt. Normalerweise wäre das kein Problem, doch ihr Bruder führt eine Rebellion gegen die Stadt an und fällt dabei im Kampf. Antigone will ihn in Ehren begraben, doch das widerspricht den Forderungen der Stadt Theben, die ihn als Verräter ansieht. In diesem Fall ist es Antigone nicht möglich, gleichzeitig eine gute Bürgerin und eine gute Schwester zu sein. Die beiden Prinzipien, die sie hochhält, stehen in tragischem Konflikt zueinander.

ES IST UNMÖGLICH ALLE UNSERE IDEALE ZU LEBEN

Die Griechen*innen bekannten sich dazu, dass es unmöglich sein kann, alle seine Ideale zu leben. Sie stellten in heroischer Klarheit heraus, wie groß diese Prüfung für den*die Einzelne*n sein kann und wie viel Leid ein solcher Konflikt verursacht. Sie kamen zu der Einsicht, dass der Mensch – mit schrecklicher Regelmäßigkeit – in Zwangslagen gerät, in denen er ein wichtiges Prinzip für ein anderes opfern muss.

Solchen tragischen Situationen begegnet man am besten mit Nüchternheit – der traurigen, aber wahren Einsicht, dass das Leben Leid für uns bereithält, das nicht wiedergutgemacht werden kann. Wenn wir das Leben aus dieser Perspektive betrachten, werden wir nicht von Schockstarre erfasst, wenn wir ein gutes Prinzip aufgeben müssen, um ein anderes aufrechtzuerhalten. In Zwangslagen entscheiden zu müssen, ist kein Fluch, der nur uns allein auferlegt ist. Er ist unvermeidlicher Bestandteil im Leben jedes Menschen, ganz gleich, wie sehr wir versuchen, diesem Schicksal zu entkommen. Im 19. Jahrhundert beschrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard die Qual der Wahl in einem berühmten Abschnitt seines Buchs „Entweder – Oder“ (1843):


Verheirate dich, du wirst es bereuen; verheirate dich nicht, du wirst es auch bereuen. Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. Verlache die Torheiten der Welt, du wirst es bereuen; beweine sie, du wirst es auch bereuen; verlache die Torheit der Welt oder beweine sie, beides wirst du bereuen. Traue einem Mädchen, du wirst es bereuen; traue ihm nicht, du wirst auch dies bereuen … Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, und du wirst auch dies bereuen; hänge dich auf oder nicht, beides wird dich reuen. Dieses, meine Herren, ist der Inbegriff aller Lebensweisheiten.

Diese gleichmütige Betrachtung und die Anerkennung eines tragischen Konflikts sind vielleicht die beste Reaktion auf sexuelle Wünsche, die für den anderen zu schmerzhaft und bedrohlich sind oder von denen er oder sie nichts hören will. Und wir müssen akzeptieren, dass bestimmte Hürden in der Kommunikation nicht überwunden werden können. Bestimmte Dinge sollten wir wirklich besser für uns behalten und nicht versuchen, sie mit anderen zu teilen, auch nicht mit denen, die uns am nächsten stehen. Zwar wären wir gerne ehrlich und möchten, dass man uns versteht und vergibt, aber wir akzeptieren mit einer melancholischen, aber abgeklärten Haltung, dass wir manche Dinge einfach nicht äußern können. Wenn wir sie für uns behalten, bedeutet das nicht, dass wir unaufrichtig oder skrupellos sind, sondern dass es eben im Leben der Menschen Dinge gibt, die nicht miteinander vereinbar sind – und das ist keineswegs unsere Schuld.

Sex sollte an sich eines der faszinierendsten und reizvollsten Erlebnisse unseres Lebens sein – eine Quelle des Loslassens, der Nähe und der sinnlichen Freude. Aber wir wissen alle, dass Sexualität oft mit Scham, Ekel, Kälte und Enttäuschung einhergeht. Das geben wir zwar ungern zu, aber die Erfahrung ist weit verbreitet. Der Grund dafür ist nicht, dass Sex an sich böse oder schlecht wäre, sondern dass er uns vor besonders heikle Herausforderungen stellt: Wir sehnen uns nach Vereinigung und fürchten uns vor Zurückweisung. Wir werden erregt von Dingen, die nicht in Einklang mit dem stehen, was uns ansonsten wichtig ist oder wie wir sein wollen.

WIR SOLLTEN UNS DARAUF EINSTELLEN, DASS SEX EIN SCHWIERIGER BEREICH IN UNSEREM LEBEN BLEIBEN WIRD.

Was wir vorschlagen, ist, zunächst einmal anzuerkennen, dass sexuelle Gefühle komplex und eher geistig als körperlich verankert sind. Beim Sex verfolgen wir achtbare, wichtige Ziele, doch wir tun das in einer Weise, die unseren normalen Verhaltensweisen und Einstellungen entgegenstehen und sie verletzen. Wir sollten uns also darauf einstellen, dass Sex ein schwieriger Bereich in unserem Leben bleiben wird. Wenn wir automatisch davon ausgehen, dass Sex immer nur großartig und leicht ist, dann machen wir uns nur unnötige Sorgen und sind verunsichert, wenn dies nicht der Fall ist. Es ist besser, von der zutreffenderen, wenn auch pessimistischeren Prämisse auszugehen, dass Sex ein Problemfeld mit wiederkehrenden Spannungen und Kommunikationsschwierigkeiten bleibt, und dass es viele Situationen geben wird, in denen wir uns schämen und mit uns selbst unzufrieden sind.

Von diesem weniger blauäugigen Standpunkt aus können wir realistisch und in aller Bescheidenheit unsere Fähigkeiten einsetzen, unsere Situation zu verbessern. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass danach alles glattläuft. Unser Liebesleben wird wahrscheinlich niemals unseren Idealvorstellungen entsprechen. Großartiger Sex kommt ziemlich selten vor, denn dazu müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein. Aber das ist ganz in Ordnung so.

Wir reden hier ja nicht davon, dass unser Sexleben fast perfekt ist und nur noch das i-Tüpfelchen zur Vollkommenheit fehlt. Die meiste Zeit gehen wir von viel bescheideneren Erwartungen aus. Wir suchen eine echte Verbesserung, kein erotisches Paradies.

Wir werden auch weiterhin immer wieder von Einsamkeit geplagt, werden uns auch künftig unverstanden fühlen und Bestürzung auslösen; wir werden auch weiterhin gelegentlich beleidigt sein und müssen vielleicht einige Geheimnisse für uns behalten und auf einiges verzichten müssen, das wir eigentlich wollen.

Wir sind jedoch besser vorbereitet auf die Schwierigkeiten, die unweigerlich auf uns zukommen und bewegen uns – mit einigen Rückschlägen – auf ein bescheidenes, und doch so wichtiges Ziel zu: ein größeres Maß an sexueller Befriedigung und ein paar, wahrscheinlich seltene Momente echter Ekstase.


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